21.10.2011 – Von Gyantse nach Shigatse

Es ist früher Morgen in Gyantse. Komischerweise merken wir heute die Höhe ein bischen. Jede Bewegung im Bett verursacht ein klein wenig Atemnot. Das Anziehen ist furchtbar anstrengend. Man kommt bei dieser trockenen Luft zwar nicht ins Schwitzen, aber spürt doch, wie sich das Herz anstrengen muss, Blut in die Adern zu pumpen. Auf dem Weg zum Frühstück waren wir dann aber wieder fit.
Wir wurden wieder nicht vom Hotel geweckt. Irgendwie scheint das in den Hotels in Tibet nur selektiv zu funktionieren. Einige aus unserer Gruppe werden geweckt, andere nicht. Ein System ist nicht zu erkennen.

Bevor es nach dem wieder ganz brauchbaren Frühstück auf den Weg nach Shigatse geht, machen wir noch einen Besuch in der Altstadt von Gyantse. Der Busfahrer lässt uns am Beginn des Klosters, welches wir gestern Abend besucht haben, aus dem Bus und wir betreten unter der Führung von Herrn Tang, der sich als ein wirklich guter Kenner der tibetischen Geschichte und des Buddhismus erwiesen hat, die Altstadt von Gyantse. Während auf der Parallelstraße ein paar Meter weiter nur noch neue Häuser stehen, alle nach dem gleichen Muster gebaut und wahrscheinlich aus dem gleichen minderwertigen Material gebaut. Dagegen treten wir mit dem hier in eine ganz andere Welt ein. Die Häuser der Altstadt sind aus massiven Stein erbaut, sie sehen alt aus, aber sie haben bestimmt viele Geschichten zu erzählen. Sie beherbergen ganze Familien und ihre Tiere unter einem Dach und sind doch auch sehr individuell. Hier gibt es keine Straßen und Wege, die auf dem Reißbrett entworfen wurden, hier ist eine gewachsene Struktur zu sehen.

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Langsam erwacht die Altstadt. Wir sehen ein paar Frauen, die mit Wasserkrügen und Kannen auf dem Rücken die Straße entlang gehen und den nächsten Wasserhahn suchen, um Wasser für ihre Familie und die Tiere zu holen. Dies scheint reine Frauenarbeit zu sein, denn es sind keine Männer unterwegs.

Herr Tang hat die Besichtigung eines der Häuser organisiert. Wir dürfen uns also anschauen, wie eine tibetische Familie auf traditionelle Art und Weise heute lebt. Das ist sehr interessant, denn obwohl die Behausung von außen recht ärmlich aussieht und der untere Teil des Hauses als Schuppen für die Tiere genutzt wird, hat die Familie oben alles, was man zum leben braucht. Sie haben fließend Wasser im Haus, was sicher ein Luxus im Vergleich zu anderen Familien ist, sie haben einen Küchenbereich, ein Wohnzimmer mit Fernseher und ein Schlafzimmer. Auch Handys sind hier natürlich schon längst an der Tagesordnung.Wir sind schon etwas erstaunt, wie bereitwillig uns diese Frau Auskunft gibt. Sie erzählt Herrn Tang, der ja tibetisch spricht, dass sie 42 Jahre alt ist und dass ihr Mann ein Maler ist, der unter anderem im Potala Palast in Lhasa arbeitet. Zur Zeit ist er dort. Auf Nachfrage erfahren wir von ihr, dass sie auch einen 15 jährigen Sohn hat. Man muss wirklich anerkennen, dass diese einfache Frau auf keinen Fall wie 42 Jahre aussieht, wenn man bedenkt, in welchen Verhältnissen sie hier lebt. Sie sieht auch nicht unglücklich aus.

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Eigentlich sieht sie sehr zufrieden mit ihrem Leben aus und freut sich, uns Touristen etwas von ihrem Leben zu zeigen.
Nach diesem Besuch machen wir uns auf den Weg zum Bus. Es zeigt sich, dass Herr Tang ein sehr sportlicher Mann ist, obwohl schon 65 Jahre alt. Er kann gerade noch ausweichen, als sich der Inhalt einer Toilette über ein Fallrohr an einer Hausmauer auf die Straße ergießt, gerade an der Stelle, wo er gerade vorbei ging. Herr Tang konnte gerade noch zur Seite springen, ohne getroffen zu werden. In der Gruppe brach schallendes Gelächter aus, in das Herr Tang mit einstimmte.
Wir verlassen den Ort Gyantse.

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Mir persönlich hat die Neustadt überhaupt nicht gefallen, die Altstadt mit dem Besuch der Familie war dagegen sehr schön. Das Tal außerhalb Gyantses ist sehr fruchtbar, wie wir von Herrn Tang erfahren und auch selber sehen können. Wir erfahren, dass auch dieses Gebiet zur Kornkammer Tibets gehört. Auch hier sind die Bauern voll damit beschäftigt, die Ernte einzubringen. Der Bus fährt auf der Hochebene auf einer gut ausgebauten Straße entlang, während links und rechts Felsformationen emporragen, schroff und vom Wind geformt, und auf den Feldern vereinzelt die Unterkünfte der Wanderarbeiter und Bauern zu sehen sind. Ebenso sehen wir viele Rinder und Schafherden, die auch an steilen Hängen wunderbar grasen können.

Auch passieren wir viele kleinere Ortschaften oder einzelne Häuser, die direkt an der Straße stehen. Leider hatten wir keine Gelegenheit, anzuhalten und Fotos zu machen, aber alle diese Häuser hatten wunderschön gearbeitete Haustüren, reich verziert und bemalt. Auf den Dächern der Häuser stecken meist an jeder Ecke eine Gebetsfahne.

Nach einem kurzen Fotostopp, den wir nutzen ums uns einmal das tibetische Korndreschen aus nächster Nähe anzusehen, nehmen wir eine tibetische Frau und ihre 2 kleinen Kinder mit.

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Wir erfahren von ihr, über den Umweg des Busfahrers, der ja Tibeter ist, dass diese Frau von ihrem betrunkenen Mann verprügelt wurde und sie jetzt mit den Kindern zu ihren Eltern möchte, die im Nachbarort wohnen. Natürlich haben wir dafür Verständnis und nehmen sie mit bis ins nächste Dorf.

Herr Tang versucht immer noch, uns dem Buddhismus näher zu bringen und berichtet, dass wir durch das Gebiet des 7 Panchen Lama reisen. In diesem Zusammenhang berichtet er dann auch vom 5 und 6 Dalai Lama und von dem Studium, das man betreiben muss, um ein Lama zu werden. Allein das Studium des Buddhismus dauert 20 Jahre.

Es ist sehr interessant, mal ein paar Details zu erfahren, die man so bei den Besichtigungen in den Klöstern nicht erfährt. Herr Tang erzählt uns, wie der Tagesablauf der Mönche eines Klosters aussieht. Der Tag besteht eigentlich nur aus dem Lernen des Buddhismus und dem abfragen und auch dem gemeinschaftlichen Singen von Sutras. Zwischendurch werden einfach zubereitete Gerichte aus Gemüse und Hackfleisch gegessen, oder am Abend Mehlspeisen.

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Mönche sind wohlhabend. Sie verdienen in der Regel 300 Yuan im Monat, haben aber keinerlei Ausgaben für Unterkunft und Essen. Handys gehören bei Mönchen mittlerweile zur normalen Grundausstattung, manche haben sogar ein Auto. Es gibt auch Sommerferien für Mönche.

Wir erfahren auch ein paar kleine Brocken, wie das Schulsystem in Tibet funktioniert. 87% der Kinder gehen zur Schule, es gibt 1000 Schulen in Tibet. Das Schulsystem unterteilt sich in 6 Jahre Grundschule und 6 Jahre Oberschule. In der Grundschule werden vornehmlich die Fächer Tibetisch,Chinesisch und Englisch gelehrt.
Die Höhe, so Herr Tang sorgt aufgrund des geringen Sauerstoffanteils dafür, dass das Gedächtnis nicht zu Höchstleistungen in der Lage ist. Man kann sich Sachen hier sehr schlecht merken, maximal 5 Jahre. Darum gibt es auch nicht so viele Universitäten in Tibet, insgesamt nur 4 Stück. Die Mehrheit der Studenten studieren an Universitäten außerhalb Tibets, da hier das Erlernte länger haften bleibt. Andererseits wird es vom Staat auch gefördert, wenn Studenten an die Universitäten kommen und bestimmte Fächer wie Pädagogik, Landwirtschaft oder Energiewirtschaft studieren.

Der Himmel ist heute sehr bedeckt. Um 11 Uhr 30 ist die Sonne immer noch nicht rausgekommen. 5 Minuten später sind wir beim Shalia Kloster angekommen, welches im 11 Jahrhundert gegründet wurde. Kurz nach seiner Gründung wurde es durch ein Erdbeben zerstört, später aber auch wieder aufgebaut. Der Gründer dieses Klosters ist ein berühmter Abt, der sehr viele bedeutende Bücher des Buddhismus geschrieben hat. Viel interessanter als diese vielen Bücher sind die 600 Jahre alten Wandmalereien, die wir in den Hallen zu sehen bekommen. Von den 70 Mönchen, die hier leben sollen, sehen wir nur wenige.

Gegen 15 Uhr fahren wir zum Ta Shi Lhun Po Kloster. Es wurde im Jahr 1447 erbaut und beherbergt 3 Fakultäten, nämlich Tantra, Logik und Philosophie. 56 Hallen befinden sich auf dem Klosterareal und 234 Häuser. Es gibt sogar eine Kinderschule.

Als erstes führt uns Herr Tang zu einer Halle, die im Westen der Anlage untergebracht ist. Um dorthin zu gelangen müssen wir ein paar Minuten über dicke Pflastersteine gehen. Doch dann betreten wir die Halle. Leider können wir hier nicht fotografieren, denn eine Fotolizenz soll 75 Yuan kosten. Das ist zwar in Euro nicht viel, aber eine absolute Frechheit wenn man bedenkt, dass das fotografieren in den anderen Klöstern kostenlos war oder maximal 10 Yuan gekostet hat. Wir entscheiden uns heute alle gegen die Fotos und genießen es, einmal nicht unter dem Druck des besten Fotos zu stehen.

Den Moment brauchen wir auch, als wir durch die dunkle Tür in die Halle traten und eine Buddha-Figur sahen, die uns den Atem raubte. Vor uns stand eine 30 Meter hohe stehende Statue, hübsch bemalt und geschmückt. Es handelte sich hier um den Buddha der Zukunft. Die Figur bestand aus 279 kg Gold, 160 Tonnen Messing und einigen tausend Edelsteinen. 110 Künstler haben 4 Jahre gebraucht, um diese Statue zu modellieren. Die Maße dieser Figur sind ebenso beeindruckend. Das Gesicht ist 4,2 Meter lang, das Ohr beträgt 2,8 Meter und die Schultern sind 11,5 Meter breit. Allein der Umfang des Daumens misst 1 Meter, der Körper ist 22,4 Meter lang, ein Fuß 2,4 Meter und es wurden für die Kleidung der Statue 3100 Meter Stoff verarbeitet. Das sind zwar beeindruckende Zahlen, doch noch beeindruckender war der Moment, als man über die Schwelle trat und den Kopf in den Nacken legen musste, um den Kopf der Figur sehen zu können. Da war man atemlos, egal ob Buddhist oder Atheist.

Nach dieser Halle haben wir noch zwei weitere Hallen auf dem Gelände besucht, die aber nicht mehr ganz so spektakulär waren. Sie beherbergten die Grabstupas des 10 Dalai Lama und des 4. Panchen Lama. Auch für diese Stupas wurden Unmengen an Gold und Messing verarbeitet und wertvolle Materialen benutzt, um die Statuen und die Stupas hübsch und anbetungswürdig zu machen. Es ist schon erstaunlich, wie viel Geld und Gold in die Verehrung von Heiligen und in die Aufrechterhaltung einer Religion gesteckt wird, das sind beim Katholizismus nicht anders aus.

Herr Tang erzählt uns zum Abschluss, als wir in der Halle der Grabstupa des 5-9 Panchen Lama stehen, dass es vor der Kulturrevolution so war, dass jeder Panchen Lama seine eigene Grabstupa bekommen hat, danach aber mehrere in eine gepackt wurden.

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Mit dem Besuch dieses Klosters war unsere Tibetreise zu Ende. Wir haben viele Klöster gesehen, viele Statuen und Buddhas oder Grabstupas. Es war eine sehr interessante und aufregende Erfahrung.
Der Bus brachte uns wieder zum Gyatse Hotel. Hier hatten wir nur knapp 30 Minuten Zeit, bis es zum Abendessen ging. Die Zeit nutzten Sibylle und ich, um noch einmal allein zur Apotheke zu gehen, um ein paar Lutschbonbons für ihren Hals zu besorgen. Die Medikamente von gestern schlugen schon sehr gut an und es ging ihr heute bereits sehr viel besser. Die Stimme war wieder da und sie machte bereits wieder einen sehr kiebigen Eindruck. Es war ja zum Glück auch nur eine normale Erkältung gewesen und sie war bei weitem nicht die Einzige auf dieser Reise gewesen, die geschnieft und gehustet hatte. Morgen dürfte dank der chinesischen Wundermedizin das gröbste vollkommen erledigt sein.
Das Abendessen in einem nepalesischem Restaurant (wie gestern auch) war ausnahmsweise nicht so besonders gut und wird darum auch nicht weiter erwähnt. Wir kehrten anschließend noch ins Hotel ein und tranken in gemütlicher Runde einen Schlummertrunk.

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