17.10.2011 – In der Umgebung von Lhasa

Unsere Nacht war wieder gegen 5 Uhr zu Ende. Die Betten waren wieder so hart, das man kaum schlafen konnte. Wir waren froh, als die Nacht vorbei war und wir aufstehen konnten. Wobei Sibylle lieber noch etwas liegen geblieben wäre, denn die Strapazen des gestrigen Tages hatten doch, wie auch bei einigen anderen aus der Gruppe, ihre Spuren in Form von Kopfschmerzen hinterlassen. Zeitweise hat bisher jeder ein bisschen mit Kopfschmerz und Kreislauf zu tun, aber immer nur sehr kurze Zeit, meist nach dem Aufstehen oder eben nach einem so anstrengenden Tag wie gestern, wo die brennende Sonne und die sehr trockene Luft ihr übrigens dazutun. Doch nach der morgendlichen Dusche waren wir wieder fit für den kommenden Tag.

Wir frühstücken um 8 und verlassen dann das Hotel gegen 9 Uhr mit dem Bus. Unser erster Stopp ist das Drepung Kloster. (Drepung bedeutet Reishaufen). Auf dem Weg dorthin stellen wir fest, dass es in Lhasa zwar Verkehrsregeln und Schilder gibt, diese aber niemand so richtig interessiert. Selbst unser Busfahrer nimmt es mit den Regeln nicht so genau. Aber er fährt uns sicher und so schnell es bei dem starken Montag morgen Verkehr eben geht zum Kloster.
Die Klosteranlage befindet sich an einem Berghang. Unterwegs erzählt uns Herr Tang etwas neues über das tibetische Volk. Wir erfahren, dass die Tibeter auch als Feiertagsnationalität bezeichnet werden. Man sagt „in Tibet sind alle Dinge unendlich mysteriös“. Tibet zeichnet sich aus durch 9 Besonderheiten und 5 Geheimnisse.

Die 9 Besonderheiten sind: der Potala Palast, es gibt in Tibet 50 Berggipfel, die höher als 7000 Meter sind und 5 Gipfel, die höher als 8000 Meter sind. Es gibt die Eisenbahn von Shanghai nach Lhasa, die die höchste Eisenbahn der Welt ist, dann gibt es in Höhen um 4000 Metern das reichhaltigste Tierangebot auf der ganzen Welt. Es gibt das Chang Tan Gebiet, was Tibet recht eindeutig in zwei Teile einteilt. Tibet wird außerdem als 3 Pol der Welt bezeichnet, weil etwa 17% der Landfläche Tibets mit Schnee bedeckt sind. Eine weitere Besonderheit ist der Salzsee Nam Co See, der rund 1930 Quadratkilometer groß ist und sich in 4700m Höhe befindet. In Tibet scheint immer die Sonne, es gibt über 3000 Sonnenstunden pro Jahr allein in Lhasa. Außerdem gibt es in Tibet keine Industrie, womit es auch kein Abwasser gibt, keine Abgase und die Luft erstaunlich sauber ist. Letztere Besonderheit ist nicht mehr ganz zutreffend, denn durch den enormen Autoverkehr allein in Lhasa wird schon eine ganze Menge Abgase produziert.

Die 5 Geheimnisse sind: 95% der Tibeter sind Buddhisten, es gibt verschiedene Bestattungsformen für Tibeter. Dazu zählen die Erdbestattung, die Feuerbestattung und die Luftbestattung. Die Luftbestattung ist für uns Westler sehr ungewöhnlich, denn bei diesem Ritual werden die Toten den Geiern zum Fraß dargeboten, wodurch sie in den Himmel aufsteigen. Ein weiteres der 5 Geheimnisse ist die Vielzahl der Gemeinschaftseheformen. Es gibt die Monogamie und die Polyatrie. Bei der Polyatrie wiederum gibt es ebenfalls verschiedene Arten. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass alle Brüder einer Familie eine Frau heiraten, dann gilt selbiges für die Schwestern einer Familie, die sich dann einen Mann teilen.

Auch das Mutter und Tochter sich einen Mann teilen, ist nicht ungewöhnlich, wobei dies natürlich nur für den zweiten Mann der Mutter gilt. Alles andere wäre Inzest. Die beiden teilen sich den Mann dann nacheinander. Die Tochter darf ihn erst mit der Volljährigkeit heiraten. Das vierte Geheimnis ist, dass sich die Tibeter zur Wiedergeburt und Reinkarnation bekennen. Das fünfte Geheimnis werden wir erst im Verlauf der Reise erfahren,

Wir kommen am Drepung Kloster an, die Luft ist klar und der Himmel strahlt azurblau, kein Wölkchen trübt den Blick.

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Das Kloster ist an einem Berghang erbaut, der Berg dahinter ist 5600 Meter hoch, oben auf dem Gipfel befindet sich ein kleines weißes Haus, in dem ein Mönch lebt. Der Mönch lebt dort 3 Jahre, 3 Monate, 3 Wochen und 3 Tage. Während dieser Zeit meditiert er und wird einmal wöchentlich aus dem Tal mit Nahrungsmitteln versorgt. Wenn die Zeit um ist, darf er sich ein Lama nennen.
Wir erfahren von Herrn Tang, der inzwischen von vielen aus der Gruppe nur „Der Professor“ genannt wird, das hier in Tibet noch in einer Höhe von 4000 Metern Bäume wachsen

An den Berghängen ist ein Netz von Gebetsfahnen gespannt, in den fünf heiligen Farben. Grün steht für das Element Wasser, Gelb für das Element Erde, Rot für das Feuer, Weiß für die Wolken und Blau für den Himmel.

Während wir das Drepung Kloster besichtigen, erfahren wir von Herrn Tang wieder einige Dinge über den Buddhismus. Die Bezeichnung Lama bedeutet zum Beispiel „lebender Buddha“.
In dem Kloster laufen viele Mönche herum, die sich äußerst modern verhalten. Uhren und Handys sind nichts ungewöhnliches. Auch die Schuhe sehen bei vielen, vor allem jüngeren Mönchen, sehr modern aus.
Das Drepung Kloster ist von besonderer politischer Bedeutung, denn hier wurde im 6 Jahrhundert die tibetische Regierung gegründet.Während wir durch die Hallen und Tempel geführt werden und von Herrn Tang immer wieder auf die verschiedenen Lamas und ihre Bedeutung für den Buddhismus hingewiesen werden, sehen wir viele Pilger, die ihre Köpfe gegen Schränke drücken, in denen die heiligen Bücher der Mönche aufbewahrt werden. Sie wollen auf diese Art einen besonderen Segen empfangen und Glück für die Zukunft bekommen. Auch ein Ritual ist es, unter dem Schrank hindurch zukriechen, damit nimmt man angeblich das ganze Wissen aus den Büchern in sich auf. Auf Aufforderung von Herrn Tang sind Vera, Rita, Yuke, Sibylle und ich auch unter dem Bücherschrank hindurch gekrochen. Ich hoffe nun, dass es mit meinem Studium schneller voran geht ;-)

Das Licht in den meist fensterlosen Räumen wird durch Halbkugeln erzeugt, die mit Yak Butter und Yak-Öl gefüllt sind. Darin befinden sich Kerzendochte, die Licht spenden. Es ist ein Ritual aller tibetischen Pilger, die Klöster aufzusuchen und als einfache Spende Yak Butter und Öl aus mitgebrachten Gefäßen in die Halbkugeln zu füllen.

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Wir besuchen auch eine noch benutzte Küche, hier stehen drei riesige Kochtöpfe, die mit Holz und Yak Dung befeuert werden. Der Yak Dung wird genommen, weil es nicht genügend Holz gibt, um die großen Töpfe ausreichend mit Hitze zu versorgen. Aber auch hier hat die moderne Einzug gehalten, denn teilweise bereiten die Mönche ihre Nudelgerichte mit Schnellkochtöpfen zu, da aufgrund der Höhe des Klosters das Wasser unter normalen Umständen nicht zum Kochen gebracht werden kann.

Gegen 12 Uhr 50 besuchen wir als Überraschung das Nechung Kloster, ganz in der Nähe des Drepung Kloster gelegen. In diesem Kloster lebte das Orakel, ein Ratgeber des Dalai Lama. Das Besondere an dem Orakel war, dass er früher dem Dalai Lama mit Rat zur Seite stand, wenn dieser auf bestimmte Fragen keine Antwort wusste. Aber Orakel und Dalai Lama sprachen verschiedene Sprachen, so dass immer ein Übersetzer notwendig war. Mit dem Tod 1986 des letzten Orakels ist diese Tradition ausgestorben, denn es konnte bisher kein neues Orakel gefunden werden.

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Das Kloster ist noch sehr ursprünglich, so auch die Toiletten. Sie bestehen nur aus einer Rille im Boden, ganz so, wie Jutta sie immer beschrieben hat.
Nach diesem Vormittagsprogramm sind wir erst einmal alle hungrig. Die strahlende Sonne und die vielfältigen Informationen machen einfach hungrig. Fotografieren und filmen ist auch sehr anstrengend.

Also fahren wir mit dem Bus wieder in Richtung Lhasa Innenstadt und essen in einem besseren Hotelrestaurant zu Mittag. Wir werden in ein ruhiges Separee geführt und werden dort verköstigt. Leider ist das Essen hier nicht so herausragend wie in den letzten Tagen, aber es hat trotzdem gut geschmeckt.

Nach der üblichen Stunde Mittagspause, die wir einfach immer brauchen, um unsere Speicher wieder aufzufüllen, fahren wir zum Norbulinka Kloster, dem Sommerpalast des Dalai Lama.

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Der Sommerpalast ist heute ein öffentlich zugänglicher Park, der natürlich nur gegen eine Gebühr betreten werden kann. Der Park ist sehr groß und beherbergt viele Gebäude und Grünanlagen.
Wir besuchen den Sommerpalast des 14. Dalai Lama und wandern durch die Räume, die er als junger Mann bewohnt hat. Dazu gehören der Audienzsaal, der wunderschöne Wandmalereien enthält, die verschiedene Geschichtsepisoden enthalten, an der einen Wandseite wird die Geschichte vom 1 bis zum 14 Dalai Lama erzählt, an einer anderen Wand die Geschichte des Buddhismus vom 2 Jahrhundert vor Christus bis zum 7 Jahrhundert nach Christus. Wir erfahren hier, dass der erste tibetische König kein Tibeter, sonder ein Inder war, der auf seinen Reisen in Tibet geblieben ist.

Wir gehen weiter und sehen die Studienzimmer des Dalai Lama, sein einfach eingerichtetes Schlafzimmer und das modern ausgestattete Badezimmer seiner Mutter. Wir kommen in die Empfangshalle und müssen dann aber auch schon wieder den Sommerpalast verlassen, denn unsere nächste Station klingt besonders interessant. Gerne wären wir noch ein wenig in Norbulinka geblieben, doch nun geht es zum Sera Kloster, wo wir der Debattierstunde der Mönche lauschen wollen.

Das Sera Kloster wurde im 15 Jahrhundert erbaut, 600 Mönche leben heute noch in dieser Klosteranlage, die an eine kleine Stadt erinnern. Der Abt dieses Klosters ist ein Lama.

Yuke berichtet uns, dass sich die Hallen dieses Klosters nicht besonders von den anderen Klöster unterscheiden, so das wir uns nur dem Debattierplatz zuwenden. Hier finden wir rund 50 Mönche vor, die lautstark damit beschäftigt sind, sich gegenseitig über die Lehren des Buddhismus zu befragen. Ein Mönch steht und stellt die Fragen, zwei Mönche sitzen vor ihm am Boden und müssen antworten.

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Es ist faszinierend, diese Art des Lernens zu beobachten. Man merkt, dass einige der Mönche daraus eine richtige Show für die Touristen machen, aber spannend und lustig ist das ganze dennoch.
Nach diesem Stopp sind wir dann aber auch alle ziemlich kaputt und froh, dass es vor dem Abendessen erst einmal wieder ins Hotel geht, so dass wir uns kurz ausruhen können.

Am Abend fahren wir in die Innenstadt in ein tibetisches Restaurant, leider ohne Martina, die seit gestern eine Erkältung mit sich rumschleppt und es vorzieht, sich auszuruhen und Kraft für den nächsten interessanten Tag zu sammeln. Der Chef des Restaurants ist der Agenturchef der lokalen Niederlassung von Yukes Reisegesellschaft. Er begrüßt uns persönlich. Das Essen ist sehr lecker und abwechslungsreich, aber Yuke gibt zu, dass es nicht wirklich tibetisch zubereitet ist. Es handelt sich zwar um tibetische Zutaten, aber auf chinesische Art zubereitet. Trotzdem sind wir restlos begeistert und machen in wahnsinniger Geschwindigkeit alle Teller leer.

Dann geht es zurück ins Hotel, wo Sibylle und ich noch ein wenig Zeit damit verbringen, das Tagebuch nachzutragen und die ersten Fotos auf das Netbook zu übertragen. Gegen kurz vor 12 geht auch bei uns das Licht aus und wir schlafen nach einem ereignisreichen Tag ein.

 

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