15.10.2011 – Lhasa

Die Nacht endet um 7 Uhr. Michi hatte seinen Reisewecker gestellt, denn Yuke hatte uns ein einfaches Frühstück versprochen, da das Essen im Zug nicht gerade sehr touristenfreundlich sein sollte. Bis 7:20 Uhr sind wir dann noch liegen geblieben und haben etwas geschlummert, denn draußen war es noch stockdunkel. In unserem Abteil haben wir unterschiedlich gut geschlafen. Im Gegensatz zu mir mussten sowohl Sibylle als auch Martina und Michi in der Nacht zur Toilette. Doch davon habe ich nichts mitbekommen. Ebenso wenig von unserem 15 minütigen Aufenthalt in Golmund gegen 5 Uhr am Morgen. Ich habe mich zwar sehr oft auf der harten Pritsche hin und her gedreht, aber anscheinend doch besser geschlafen als die drei. Ich fühle mich auch gut erholt und fit für die Eindrücke des neuen Tages.

Langsam beginnt es zu dämmern als wir uns tagfertig machen, die Sonne scheint sich hinter den Bergen langsam empor zu schieben und wir erkennen, dass draußen Schnee liegt. Nicht viel, aber es ist schon deutlich, dass dies kein Raureif nach einer frostigen Nacht ist.

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Ab und an ist auch ein Lkw zu sehen, der in der Ferne über die Straße gefahren kommt. Recht schnell wird es dann aber hell und wir sind erstaunt, dass wir um kurz nach 8 immer noch die einzigen aus unserer Gruppe sind, die schon wach sind. Um 8:15 Uhr kommt Gabi vorbei und schaut herein. Sie sagt uns, dass sie die anderen erst einmal wecken musste. Selbst Yuke schläft noch.

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Während wir also darauf warten, dass die anderen langsam wach werden, schauen wir uns die faszinierende Gegend an.

Draußen herrscht ein kleiner Schneesturm, doch die Lkw schieben sich unermüdlich voran. Wir entdecken auch Tiere auf der schneebedeckten Steppe, ein paar Antilopen und wilde Esel scheinen trotz des Schnees noch genügend zum essen gefunden zu haben.

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Auch wir bekommen dann endlich Frühstück. Yuke bereitet uns ein sehr leckeres Frühstück zu, es gibt spezielles tibetisches Brot in zwei Sorten, Orangensaft, Joghurt, Banane und Kaffee. Damit sind wir wirklich sehr gut versorgt. Leider müssen wir jeder in seinem Abteil essen, aber das ist nicht so schlimm, es hat ein wenig Camping-Atmosphäre. Und während wir frühstücken genießen wir die sehr interessante und abwechslungsreiche Landschaft draußen. Wir befinden uns auf dem Chang Tang Plateau, das zu beginn unseres Anstiegs wirklich über und über mit Schnee bedeckt ist. Für Lhasa befürchten wir schon das Schlimmste. Zum Glück sind wir mit unseren Ski-Klamotten gut ausgestattet. Dafür ist es aber an Bord mit den 23 Grad Celsius wirklich sommerlich. Der zugeführte Sauerstoff ist da eine wirklich schöne Erfrischung, wie er so in die Abteile bläst.

Gegen 10 Uhr bittet Yuke uns alle in den Speisewagen. Er möchte uns noch einmal eine Teezeremonie vorführen. Wir sind natürlich begeistert und eilen in den Speisewagen. Dort sind keine weiteren Touristen oder einheimischen Fahrgäste zu sehen, nur das Personal des Zuges. Sie rauchen trotz Rauchverbot und wollen darum auch nicht fotografiert werden.

Yuke schafft es aber, dass wir doch ein Foto mit einem der 3 Zug-Bosse bekommen. Außerdem erfahren wir von ihm, dass dieser Zug 13 Waggons hat und pro Waggon 1 Schaffner zuständig ist. In Golmund wurde heute früh eine spezielle Lok angefügt, die eine Dieselmaschine hat, die für die Höhe geeignet ist. Sonst würden wir Lhasa nie erreichen. Von Golmund nach Lhasa sind es noch ca. 1200 – 1500 km, die Angaben sind recht ungenau. Von Shanghai, wo der Zug startet, sind es 4773 Kilometer. Der Zug benötigt für die gesamte Distanz 48 Stunden.

Yuke beginnt seine Teezeremonie. Während wir ihm lauschen und die verschiedenen Teesorten probieren, Grünen Tee, Weißen Tee, Yulong Tee und Puh Er Tee, wechselt draußen die Landschaft. Die schneebedeckte Steppe zieht sich zurück und nur noch die Berggipfel tragen weiße Kronen. Der Zug schiebt sich mal schnell mal langsam über die endlose Steppe des Chang Tang Plateaus hinweg.
Ab und an ist ein Flüsschen zu sehen, halb zugefroren liegt es still auf der Steppe und spiegelt die trüben Wolken wieder. Auf den gut ausgebauten Straßen sind ein paar Lkws unterwegs, ab und zu aber auch eine ganze Kolonne mit Militärfahrzeugen, wahrscheinlich chinesischer Nationalität.

Der Zug nähert sich dem höchsten Punkt seiner Reise, doch richtig Kopfschmerzen hat zum Glück keiner. Ein leichtes Kopfdröhnen verspürt der eine oder andere, aber keinem geht es richtig mies, dass er nichts mehr mitbekommen würde. Ein chinesischer Reisegast hat da nicht ganz so viel Glück. Ich habe sie zwar nicht gesehen, aber die anderen haben berichtet, das es der Frau wohl richtig schlecht ging.

Seit gut 2 Stunden trinken wir begeistert Tee. Yuke macht es sichtlich Spaß, für uns diese Teezeremonie durchzuführen, und wir mögen es, dass er sich darüber so freut. Als wir dann um 12 Uhr unser Mittagessen einnehmen, immer noch im Speiseraum sitzend, erreichen wir den höchsten Punkt der Zugfahrt mit 5076 Metern. Wir bekommen davon fast nichts mit, denn das Essen ist besser als gedacht und wir langen alle kräftig zu, die meisten von uns mit den kleinen grünen Plastikstäbchen, die mit dem Essen geliefert wurden.

Nach dem Essen müssen wir den Speiseraum verlassen, denn auch die anderen Fahrgäste wollen hier etwas essen. Also gehen wir alle zurück in unsere Abteile und genießen von dort den weiteren Blick auf die dahinziehende dunkle Steppe. Sie ist wirklich karg und wirkt sehr trostlos. Bäume finden sich keine, nur flach wachsende Sträucher, gerade gut genug für die Yak-Herden, die immer mal wieder auftauchen.

Nach dem Essen kommt Yuke zu uns ins Abteil und wir machen die Abrechnung. Da wir bisher noch keine Gelegenheit hatten, Geld zu tauschen, hat er für uns so Kleinigkeiten wie Wasser ausgelegt. Wir tauschen bei ihm ein paar Euro gegen Yuan ein.

Dann ist etwas Mittagsruhe angesagt. Alle aus der Gruppe sind ein wenig schläfrig und in den Abteilen wird es ruhig. Es ist inzwischen 14 Uhr, wir haben 4700 m erreicht und bis Lhasa sind es noch knapp 5 Stunden Zugfahrt. Die trockene Steppe tritt immer mehr hervor, Schnee ist nur noch an den entlegenen Berghängen zu sehen. Die Landschaft sieht schon seltsam und karg aus, auf der linken Fahrseite sind die Berge abgerundet, auf der rechten sind sie spitz.

Um 14 Uhr 45 macht der Zug einen planmäßigen Halt in Nagchu. Vom Schaffner erfahren wir, dass wir nur 2 Minuten halten. Sibylle, Michi, Uwe und Yuke rennen nach vorne, um ein Foto der Lok zu machen. Das ist nicht so leicht, denn die Luft ist doch schon sehr dünn und jede Anstrengung lässt das Herz rasen. Doch die Mühe lohnt sich, Uwe hat es sogar geschafft, ein frontales Foto der Lok zu machen.

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Aus den geplanten 2 Minuten Aufenthalt werden 25 Minuten, allerdings wurden nach knapp 3 Minuten die Türen der Waggons wieder verschlossen. Offensichtlich ist auf unserem Gleis noch ein Gegenzug, den wir vorbei lassen müssen. Um 15:10 Uhr geht es weiter. Der nächste Halt ist dann in Gulu, auf 4673m. Allerdings ist dies ein außerplanmäßiger Halt.

Während der Weiterfahrt wird die Steppe immer brauner und blühender, es sind nun viel mehr Siedlungen links und rechts der Bahntrasse zu sehen.

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Riesige Yak-Herden grasen auf den Feldern und in der Ferne erkennen wir sogar ein paar Pilger, die sich im Gebet zu Boden werfen, aufstehen und drei Schritte gehen und wieder zu Boden werfen. Diese Pilger sind auf dem Weg nach Lhasa, denn das ist das Ziel aller buddhistischen Pilger.

Die Wolken hängen tief, das Wetter ist aber sehr wechselhaft. Zur linken Fahrseite ist das Wetter zeitweise sehr gut, blauer Himmel ist zu sehen, zur rechten Seite hängen dunkle graue Wolken über den Bergen. Immerhin, wir befinden uns hier direkt auf Höhe der Wolken.
Während wir so aus dem Fenster schauen und die faszinierende Fahrt genießen, entdeckt Sibylle plötzlich auf der Straße neben den Gleisen zwei Erlkönige der Marke Opel.

Wir hatten gehofft, den berühmten Na Co See zu sehen, doch statt dessen fahren wir gegen 18 Uhr in eine Tunnelpassage ein und bekommen gar nichts mehr von der Umgebung mit. Der Zug verläßt die Tunnel zwar immer wieder, doch die Berge sind nun so eng zusammen, dass wir von der Landschaft hinter den Hügeln nichts mehr sehen können. Aber wir genießen dennoch die schöne Zugfahrt und machen weiterhin unsere Fotos und Filme.

Kurz vor dem Ziel Lhasa hat Martina noch eine unrühmliche Episode mit ein paar Franzosen, die leider jegliche Kultur und Höflichkeit vermissen lassen. Martina steht vor deren Kabine und filmt und die Franzosen fühlen sich dadurch gestört, doch anstatt etwas zu sagen schubst der Mann Martina einfach zur Seite und bepöbelt sie. Dieses Verhalten ist umso erstaunlicher, als das Pöbeln auf Deutsch stattfindet. Also versteht und spricht er deutsch und hätte Martina mit ein paar einfachen Worten bitten können, den Platz vor dem Fenster freizumachen. Doch statt dessen benimmt er sich wie der erste Mensch.

Um kurz nach 19 Uhr erreichen wir Lhasa. Das ist erstaunlich, denn zwischendurch hatten wir bereits 20 Minuten Verspätung. Schon die Einfahrt nach Lhasa macht uns deutlich, dass Tibet eine besetzte Region ist.Wir sehen überall chinesisches Militär herumstehen und kontrollieren. Sie bewachen den ganzen Vorplatz des Bahnhofs und achten peinlich genau darauf, dass ja niemand ein Foto des Bahnhofs macht. Sibylle und Vera versuchen es und werden aufs schärfste ermahnt. Beim nächsten Versuch wäre die Kamera weg. Letztendlich haben die beiden es dann doch geschafft heimlich zu fotografieren, auch ich habe eine Teilsequenz drehen können.

Nachdem dieser Schock verdaut war viel uns erst richtig auf, wie warm es in Lhasa eigentlich ist. Vielleicht haben wir zuviele Sachen für kälteres Wetter mitgenommen. Im Moment ist der Himmel tiefblau und keine Wolke zu sehen.

Am Bahnhof erwartet uns unsere lokaler Reiseführer. Leider spricht er nur Englisch, was für einige aus der Gruppe nicht so schön ist. Nicht jeder hat beruflich so viel mit der englischen Sprache zu tun, so dass er alles versteht.

Aber unser Reiseführer scheint sehr nett zu sein. Zur Begrüßung bekommen wir alle einen weißen Schal um den Hals gehängt. Außerdem gibt er uns ein paar nützliche Tipps, um der Höhenkrankheit aus dem Weg zu gehen. Es ist wichtig, dass man am ersten Abend nicht duscht, egal wie verschwitzt und schmutzig man sich fühlt. Denn durch das Duschen würde der Kreislauf zu sehr angeregt und belastet, so dass man am nächsten Morgen garantiert mit Kopfschmerzen aufwachen würde.

Auf dem Weg zum Hotel halten wir am Potala Palast, an einem kleinen Park, direkt gegenüber vom Palast. Der Himmel ist dunkelblau, die Dämmerung hat gerade eingesetzt und es ist noch nicht komplett dunkel.

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Der Blick auf den Palast ist sehr schön, er wirkt von hier schon sehr groß und majestätisch. Wir können uns gar nicht losreißen und schießen jetzt schon mehr Bilder als uns lieb ist, aber Yuke verspricht uns, dass wir morgen nochmal wieder herkommen.

Also trennen wir uns notgedrungen von diesem Anblick und gehen wieder in den Bus zurück und fahren ins Hotel. Dort angekommen werden die Zimmer verteilt. Wir haben das Glück, eines der vier tibetisch eingerichteten Zimmer zu bekommen. Nachdem wir uns kurz frisch gemacht haben geht es auch schon runter zum Essen. Die Küche will schließen und wir sind die letzten Gäste. Das Essen ist aber trotz der nun herrschenden Hektik sehr lecker und immer noch heiß. Danach verziehen wir uns auf unsere Zimmer und beherzigen den Rat, nicht der Versuchung zu erliegen, jetzt schon zu duschen, sondern gehen gleich ins Bett.

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